Mein Senf zu allem
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  • AutorenbildChristian Urech

Mein Senf zu allem


Im März ist das Thema «Gott»

Viele Menschen denken an Gott als einen Vater, als eine Art Pater familias, als den Chef des Universums, der die Regeln vorgibt, deren Einhaltung er belohnt oder sanktioniert – die Guten kommen ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. Diese Gottesvorstellung ist zwar bequem – sie enthebt von eigenem Denken –, aber sie ist leider auch grauenhaft unplausibel, ja geradezu naiv. Trotzdem ist sie ein Longseller und gerade momentan wieder sehr im Trend. Gotteskriege werden dafür geführt, Menschen enthauptet. Und es ist nicht anzunehmen, dass sie in Zukunft an Attraktivität verliert: je moderner die Zeiten, desto heiliger die Kriege, möchte man sagen. Je verwickelter die Zeitenläufe, je komplexer die Welt, desto grösser die Sehnsucht nach einem einfachen Weltbild, nach Schwarz und Weiss, Freund und Feind.

Andere sehen Gott als eine Art Gebärerin, die die Schöpfung aus sich herausgestossen hat, als Schöpferin, die die Welt zwar verursacht hat, sich nun aber nicht mehr um ihre Geschöpfe kümmert – wie die Mutter, die aus welchen Gründen auch immer ihr Kind in die Babyklappe von Einsiedeln legt. Das Verursachende und das Verursachte sind absolut voneinander geschieden. Und die Schöpfung, unsere Welt, wuchert nun so vor sich hin, ohne Plan, ohne Ziel, nach dem Prinzip des Zufalls – woraus sich die chaotische Weltlage einigermassen erklären liesse. Die Menschheit, sich selbst überlassen, führungslos, wurstelt sich durch, unaufhaltsam dem Abgrund entgegen.

Diese Gottesvorstellung ist einigermassen deprimierend, weshalb ich mir erlaube, sie an dieser Stelle zu verwerfen. Einen ganz anderen Ansatz wählen die Pantheisten. Für sie sind Schöpfung und Schöpfer eins, Gebärende und Geborenes. Gott sucht sich in seiner Schöpfung selbst, Gott ringt in seiner Schöpfung um das Bewusstsein seiner selbst. Er mordet mit, er leidet mit, er fühlt und denkt mit uns. In dieser Vorstellung sind wir alle ein Teil von Gott oder vielmehr eine Spiegelung, eine Projektion von Gott, das Göttliche im Kleinen, noch Unfertigen. Die Schöpfung ist ein Hologramm, in dem jeder Splitter das Ganze enthält. Im Einzelnen ist wie ein Keim das Ganze enthalten, oder, noch eigenartiger, die Einzigartigkeit ist eine Illusion und wir alle sind das Ganze. So denken die Mystiker. Dieses Gottesbild ist doch wesentlich tröstlicher als die vorangehenden: Wir sind die Tropfen, die letztlich den Ozean bilden.

Die Vorstellung, dass das Einzelne und das Ganze im Grunde dasselbe sind, ist mir sympathisch, auch wenn sie selbstverständlich nicht alle Fragen beantwortet. Ethische Fragen bleiben offen, das mystische Weltbild erlaubt es uns, ja zwingt uns geradezu dazu, alles zu billigen, also auch heilige Kriege, Morde, Köpfe abschlagen, Ausbeutung, Vergiftung und Zerstörung des Planeten. Schliesslich ist auch das Teil des sich gebärenden Gottes – jede Abscheulichkeit, jede Perversion und Absurdität ist in ihm. So wird mancher Mystiker zum amoralischen Nihilisten und Anarchisten, der glaubt, er könne tun, was er will.

Manche stellen sich Gott als konkrete Person vor, andere als reine Idee. Gott als Person, als alter Mann mit wallendem Rauschebart – die Kindervorstellung. Gott als Idee, als reines Abstraktum – die idealistische Philosophenvariante. Dazwischen jene, die sagen, sie glaubten zwar nicht an Gott, aber schon irgendwie an eine höhere Macht. Jene, die von sich behaupten, sie seien zwar nicht religiös, aber sehr wohl spirituell. Doch was soll denn das heissen: spirituell im Sinn von geistlichen Gedanken oder im Sinn von geistigen Getränken? Da ist etwas, sagen sie – dahinter, darin, darüber oder was?

Hilft uns auch nicht weiter.

Dann jene, die glauben, Gott sei in einem Buch. Gott als Schriftsteller, als Märchen- und Geschichtenerzähler. Erst hat er die Bibel diktiert (mehreren Sekretären), dann den Koran (einem einzigen Sekretär), dann das kommunistische Manifest, dann das Manifest der unsichtbaren Hand des freien Marktes.

Man kann sich natürlich auch damit behelfen, dass man nicht an einen Gott glaubt, sondern an mehrere, so, wie es die eher sinnenfreudigen Menschen tun. Das ist eine vor allem für die Göttlichen selbst tröstliche Variante: Mitglieder von Götterfamilien, von der altgriechischen über die hinduistische bis zur buddhistischen im Tibet, sind doch weit weniger einsam als alleinherrschende Vätergötter und von daher vielleicht ein bisschen weniger grantig und absolut und bösartig als diese.

Grandios, wenn auch nicht unbedingt einleuchtend, ist die Vorstellung des Buddhismus von Gott als Nichts. Gott ist nicht tot, wie Nietzsche verkündigte, es hat ihn gar nie gegeben ausserhalb unseres illusionären Bewusstseins. Alles ist Schein, alles ist Trug, alles ist Illusion – wir müssen es nur erkennen und gehen ins Nirwana ein.

Gott ein Traum, den wir träumen – oder ist es umgekehrt und wir sind der Traum, den Gott träumt? Der womöglich wieder nur eine Figur im Traum eines anderen, noch mächtigeren Gottes ist – mächtig und auch wieder nicht, denn was spielt es für eine Rolle, wie mächtig wir sind – angesichts der hintergründigen Tatsache, dass alles im Innersten Nichts ist?

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