Christian Urech
Unsterblichkreit
Jetzt lebt Stewart Hunt schon so lange, dass sein Todestrieb immer stärker wird. Alledrings noch nicht so stark, dass er seinen Überlebenstrieb bereits übertrumpfen könnte. Hunt ist sich natürlich sehr bewusst, dass er (und auch sonst niemand) wirklich unsterblich ist. Wenn man es unbedingt will, kann auch der widerstandsfähigste Organismus – bisher galt das Tripper-Bakterium als solcher – vernichtet werden. Eine Explosion überlebt ein «Unsterblicher» nicht, eine Verbrennung auch nicht. Ist das Zentralnervensystem ausgeschaltet, kann der Körper zwar noch weiterleben, aber das Individuum ist futsch, das kennt man ja aus den Diskussionen über Organentnahmen und Gehrintod.
Hunt hat sich verändert, unabwendbare Folge einer langen Reihe von existentieller Erfahrung. Er weiss jetzt um das Illusionäre von Geld und Macht, aber auch von Freundschaft und Liebe. Jede Freundschaft stumpft einmal ab, wenn sie ewig dauert, jede Liebe erkaltet oder verglüht mit der Zeit und macht gähnender Langeweile Platz. Auch bleibt das, was der Mensch wissen kann, immer gleich klein angesichts dessen, was er nicht wissen, weil nicht verstehen kann. Er hat es eine Weile mit bewusstseinserweiternden Drogen versucht, was zwar erhellend, ja erleuchtend war, aber in eine derartige emotionale, ja existenitielle Erschöpfung mündete, dass der Wahnsinn mit seiner starken, knochigen Hand lautstark gegen die Tür seines Egos pochte. Auch Meditation macht keinen Sinn, wenn ihr kein Eingang in ein Nirwana folgen darf. Der Sehnunsuchtsort bleibt das Nichts. Aber die zähe Gewöhnung hängt auch wie ein starker Leim am Leben, je länger es dauert, desto mehr. Es gibt immer noch ein Morgen und noch ein Morgen und noch ein Morgen, auf das man die endgültige Entscheidung verschieben kann.
Das Alter. Es ist ja nicht nur ein physisches Phänomen. Das psychische Älterwerden ist viel schwieriger zu ertragen. Alles, was ist, blüht auf und vergeht. Das ist auch mit der Psyche des Menschen so.
