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  • AutorenbildChristian Urech

Mein Senf zu allem


Gutbös

Nehmen wir einmal der Einfachheit halber an, das Gute und das Böse liessen sich nach dem Kantschen Imperativ definieren: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Na ja – ich weiss, dass es diese selbstdestruktiven Psychopathen gibt, die sehr wohl wollen, dass man ihnen das Böse zufüge, dass sie anderen zufügen. Aber wir wollen uns hier mal nicht in die Höllen der Psychopathologie begeben. Nach der unkomplizierten Definition könnte man also sagen: Das Gute und das Böse sind im Kind in einem ungefähren Gleichgewicht. Es sind zwei kleine Hunde oder andere Tiere, die in uns schlummern. Nun, man füttert das eine oder das andere Tier. Das wird dann stärker. Das erste Verbrechen erzeugt vielleicht noch Gewissensbisse, der erste Tote tut vielleicht noch weh. Aber irgendwie gewöhnt sich der Mensch an alles. Schliesslich zückt er die Pistole, ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden. Is ein Job, nich? Das böse Tier wird fetter und fetter, bis es schliesslich platzt. Was nicht heisst, dass der Böse nicht auch seine weichen Seite hat. Das gute Tier ist schon noch da, wenn auch klein und verschüchtert. Vielleicht weint der Mafia-Pate im Kino, sehr wahrscheinlich liebt der Boss der Bosse seine Mutter, seine Frau und seine Kinder wirklich. Auch seinem Schäferhund ist der Despot in wahrer Liebe zugetan. Aber natürlich kann man auch sein gutes Tier füttern, das Mitleid und die Fürsorglichkeit. Doch selbst diese schönen Eigenschaften können leider zu einem Monster werden. Wies schon im Faust steht: Derjenige, der stets das Gute will, schafft vielleicht das Böse, und derjenige, der das Böse will, bewirkt vielleicht manchmal auch was Gutes. Eine Gewissheit auf diesem schlüpferigen Boden der Moral gibt es leider nicht.

Es liegt also an jedem Einzelnen, ob er das gute oder das böse Tier füttern will. Aber aufgrund wessen entscheiden wir uns? Ist es reiner Zufall, der uns in die eine oder andere Richtung treibt? Oder war vielleicht das böse resp. das gute Tier von allem Anfang an ein kleines bisschen stärker in uns? Oder waren es die Umstände, die uns lenkten und bestimmten? Machte Gelegenheit den Dieb aus mir?

Um sich bewusst entscheiden zu können, braucht es jedenfalls Reflexionsfähigkeit und ein gewisses Bewusstsein von sich selbst, eine gewisse Distanz zu sich selbst, die man nicht bei jedem Menschen voraussetzen kann – was gewiss nicht nur eine Frage der so genannten Intelligenz ist.


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